CLARA - Ambulanter Ökumenischer
Kinder- und Jugendhospizdienst
Mannheim

Ehrenamtliche berichten

Pina

Ich habe Pina abgeholt, wir fahren an den Rhein. Wie immer ist sie angezogen wie eine Prinzessin, kein Fleck auf dem rosa Kleidchen, die Lackschuhe glänzen. Die Oma, zur Unterstützung der Familie aus Sizilien angereist, achtet auf Sauberkeit und Ordnung, in der winzigen Zwei-Zimmerwohnung, wo zur Zeit fünf Menschen eng zusammenwohnen, blitzt und blinkt es.

Als wir das Ziel erreichen, reisst Pina sich die Schuhe von den Füßen, steigt in die viel zu grossen, von mir mitgebrachten Gummistiefel und schlüpft in den abgelegten Anorak meines Sohnes, der ihr bis zu den Knieen reicht. Die Augen blitzen die Haare fliegen, es kann losgehen. Wir rennen zum Busch, unter dem Pina beim letzten Treffen den knorrigen Ast geschoben hat, der nur ihr allein gehört. Er liegt noch genauso dort. Sie greift ihn, rennt zum Ufer des Rheins, wo Matsch und Wasser ineinander übergehen, schlägt und prügelt. Der Matsch spritzt nach allen Seiten, das Wasser schäumt, Anorak und Gummistiefel können nicht alles abhalten, ein paar Flecken muss die Oma verkraften.

Pina lacht und schreit, hüpft und schlägt, schlägt, schlägt... Die Prinzessin hat sich in ein wirbelndes tobendes Elementargeschöpf verwandelt.

Später wandern wir am Rhein entlang, bauen ein Haus aus TReibholz und ich bekomme auf flachen Steinen ein köstliches Essen aus Sand und Blättern serviert.

Der Ast liegt wieder in seinem Versteck, er wird noch gebracht. Vor zwei Wochen ist Pinas Mutter gestorben.

(Bettina Franke)

 

Robert

Es ist Anfang Dezember. Schnee liegt noch keiner, aber es ist kalt, sehr kalt. Robert sitz in seinem Rollstuhl und ich bin damit beschäftigt, seine Beine in eine dunkelblaue Decke zu packen. Die Mütze mit den drei Streifen kann er sich noch alleine aufsetzen. Dann gehts los - shoppen. Robert ist gerade 18 geworden. Ein ganz normaler junger Mensch, der auf Aussehen, Marken und auf schöne Frauen steht. Geküsst hat er noch keine von ihnen. Und er wird es wohl auch nie erleben. "Ungeküsst zurück", sagt er manchmal trocken. Robert hat Krebs, und er weiß, dass er dieses Jahr nicht überleben wird.

Wir steuern schnurstracks den Handyladen an. Die Auslagen mit den neusten Modellen sind zu hoch, als das Robert sich problemlos einen Überblick verschaffen kann. Ich reiche ihm ein Telefon nach dem anderen. Es dauert nicht lange. Robert zahlt und ist stolz wie Bolle. Protzen kann er auch, und ich komme nicht umhin ständig sagen zu müssen, wie unglaublich toll sein neuer Besitz ist. "Das letzte Mal shoppen gewesen", sagt er zu mir, als er sich zu Hause wieder die Mütze vom Kopf nimmt.

Was darauf folgt ist das letzte Mal Kino. Das letze Mal raus an die frische Luft. Das letzte Mal "Mensch ärgere dich nicht". Das letzte Mal Einskaffee. Das letze Mal laut Musik hören...

Es ist ein Ritual zwischen uns geworden, dieses "Das letze Mal". Wir zelebrieren es. Bewußt Abschied nehmen. Abschied vom Leben. Noch einmal spüren und nachspüren. Lachen und Trauern. Und es gibt soviel, was Robert alles noch einmal das letzte Mal tun will.

Die Tage vergehen. Es ist kurz vor Weihnachten, und es hat endlich geschneit. Aufstehen kann Robert schon länger nicht mehr. Für eines der letzten "Das letzte mal" ist jetzt eine Menge Kreativität gefragt. Ich setze ihm die Mütze auf und schiebe sein Bett zum geöffneten Fenster mit freiem Blick auf die Terasse. Ich ziehe meine Jacke und meine Handschuhe an und verschwinde nach draußen. Direkt vor dem Fenster fange ich an, das letzte Mal für Robert einen Schneemann zu bauen. Robert lacht. Er lacht über den Schneemann und über mich, weil ich es nicht schaffe, dessen Kopf gerade aufzusetzen. Als Revanche bewerfe ich ihn gegen die andere, geschlossene Fensterscheibe mit Schneebällen. Er lacht noch mehr. Ich komme ins Schwitzen, und er liegt im Bett. Robert fühlt sich als Sieger, denn die einzige, die klatschnass ist, bin ich. Er lacht weiter. Das Leben scheint ihm dabei ins Gesicht geschrieben. Irgendwann sagt er ganz humorlos "Danke" - das letze Mal.

(Manuela Fischer)